„Wir planen den Netzausbaubedarf automatisiert“

Experteninterview – 21. April 2023

René Lenzin ist Head News, Media and Public Affairs des Schweizer Versorgers BKW AG

Auch in der Schweiz bringt die Energiewende einige Herausforderungen für die Energieversorger mit sich. Die Schweizer BKW AG hat darauf schon früh mit einer Drei-Säulen-Strategie reagiert und neben den Geschäftsfeldern Energie und Netze einen umfangreichen Dienstleistungsbereich aufgebaut. Aktuell treibt das Unternehmen die Digitalisierung mit der Installation von 400.000 Smart Metern voran und beschleunigt mit Hilfe künstlicher Intelligenz Aufgaben rund um Netzausbau und Netzanschluss.

Interview mit René Lenzin, Head News, Media and Public Affairs des Schweizer Versorgers BKW AG.

Die BKW AG unterstützt Endverbraucher bei der Energiewende, unter anderem mit Energiemanagementsystemen und Smart Home Anwendungen.

Herr Lenzin, mit welchen Herausforderungen haben Energieversorger in der Schweiz zu kämpfen?

Es gibt in der Schweiz rund 600 Versorgungsunternehmen mit unterschiedlichen Ausgangslagen und Herausforderungen. Vom überregionalen Versorger mit eigener Strom- und Wärmeproduktion bis zum Dorfnetz ohne eigene Erzeugung ist das Spektrum groß. Bezüglich Versorgungssicherheit steht die Schweiz insbesondere vor dem Problem der sogenannten Winterlücke, also dem Importbedarf in den Wintermonaten. Angesichts des steigenden Strombedarfs und des fehlenden Stromabkommens mit der EU wird diese Herausforderung in den kommenden Jahren eher noch zunehmen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sahen sich Versorger mit großen Produktionskapazitäten bis vor kurzem mit tiefen, teilweise unter den Gestehungskosten liegenden Marktpreisen für Strom konfrontiert. Umgekehrt kämpfen Versorger ohne eigene Produktion seit Spätherbst 2021 mit volatilen und teils sehr hohen Preisen.

Was hat Ihr Unternehmen gemacht, um auf die Herausforderungen zu reagieren?

Auf die damals absehbar tiefen Strompreise hat die BKW um den Jahreswechsel 2012/2013 mit einer neuen Strategie reagiert: Neben den bisherigen Geschäftsfeldern Energie und Netze wurde der Dienstleistungsbereich als drittes Standbein auf- und ausgebaut. Diese Drei-Säulen-Strategie hat uns die nötige Robustheit und Resilienz verschafft, um die Energiekrise und die Turbulenzen auf den Energiemärkten zu meistern. Nun ist das Unternehmen bestens für die Zukunft aufgestellt. Die BKW investiert in den Zubau an erneuerbaren Energien, entwickelt ihr Netz weiter für die neue Energiewelt und plant und baut energieeffiziente Gebäude sowie ressourcenschonende Infrastrukturen.

Gibt es besondere Leuchtturm-Projekte, die Sie nennen können?

Das umfassende Geschäftsmodell mit den drei Säulen Energie, Netze und Dienstleistungen unterscheidet uns klar von den meisten anderen Versorgungsunternehmen in der Schweiz. Über Leuchtturmprojekte verfügt die BKW sogar in allen drei Bereichen. Zu nennen ist etwa BelpmoosSolar, die derzeit größte Freiflächenanlage der Schweiz, die zusammen mit dem Flughafen Bern geplant wird. Als größter Verteilnetzbetreiber der Schweiz treibt BKW auch die Digitalisierung des Stromnetzes voran. In den kommenden Jahren werden mehr als 400.000 Smart Meter installiert. Das sind rund 500 Geräte pro Tag. Das Unternehmen plant zudem nachhaltige Gebäude wie das EDGE ElbSide in Hamburg, das verbrauchsoptimiert gebaut und mit erneuerbaren Energiequellen betrieben wird.

Ein Angebot der BKW ist das sogenannte Home Energy. Was machen Sie da genau?

Home Energy ist ein modulares Energiesystem und ist auf private Hauseigentümer ausgerichtet. Modular bedeutet, dass sich Kundinnen und Kunden das Energiesystem nach eigenen Bedürfnissen zusammenstellen und später auch ausbauen können. Die Module umfassen Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeicher, Ladestationen und das Energiemanagement. Im Fokus der Kundinnen und Kunden steht aktuell vor allem die eigene Solaranlage. Die BKW übernimmt die Beratung bezüglich Produkte, prüft die technische Machbarkeit, erstellt Pläne und realisiert die Anlage mit ihren Konzerngesellschaften, inklusive Anschluss ans Stromnetz.

Wie steht es in der Schweiz mit dem Netzausbau und der Digitalisierung – auch im Vergleich zu Deutschland?

Die Herausforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Verteilnetzen der beiden Länder sind sehr ähnlich. Deutschland steht aber vor der Herausforderung, die große Windproduktion im Norden via Übertragungsnetz zu den Verbrauchszentren im Süden zu transportieren. Die Energiewende bedingt überall einen massiven Netzausbau. So erwartet das Bundesamt für Energie im Basisszenario für die Schweiz rund 30 Milliarden CHF Ausbaukosten – das sind jährlich 70 Prozent höhere Investitionen, als heute ohnehin getätigt werden. Um den Netzausbau rasch und kosteneffizient auszugestalten, braucht es eine entsprechende Anpassung der Regulierung.

Zudem ist das abgestimmte Zusammenspiel aller Akteure im elektrischen Gesamtsystem sowie dessen Digitalisierung unabdingbar für die Energiewende.

Das stimmt. Mit ihrem individuellen Verhalten beeinflussen die Kundinnen und Kunden quasi den Ausbaubedarf des Verteilnetzes. Daher stellen steuerbare PV-Erzeugung, Speicher und Gebäudeautomation einen der größten Hebel dar. Ebenso wichtig ist aber auch die Digitalisierung der Netzinfrastruktur. In diesem Bereich ist die BKW führend. Dank hoher Datenqualität, künstlicher Intelligenz und genetischen Algorithmen plant sie unter anderem den Netzausbaubedarf automatisiert. Sie nutzt dafür die sogenannte Robotic Process Automation. Diese sorgt für eine rasche Bearbeitung der Anfragen für Netzanschlüsse und nutzt künstliche Intelligenz für diverse Analysen, etwa im Bereich der Stromleitungs-Inspektionen.

Sie haben das Start-up Energy Solutions gegründet. Warum?

Ende 2019 hat die BKW mit der LTB Leitungsbau GmbH eines der Top-Vier-Unternehmen in Deutschland im Bereich Leitungsbau übernommen. Mit dieser Akquisition hat sie den Grundstein gelegt für die Entwicklung der BKW Infra Services Europa SE als Gesamtdienstleistungsunternehmen im Energiemarkt in Deutschland und Österreich. Die BKW Energy Solutions GmbH leistet als Systemintegratorin sowie als Generalunternehmerin einen wichtigen Beitrag in der Planung und dem Bau von Schaltanlagen sowie anderen Anlagen des Hochspannungsnetzes, wie etwa Speicher und Kompensationsanlagen.

Sie sind Aussteller auf der EM-Power Europe 2023. Warum ist die Messe für Sie wichtig und was erwartet die Besucher an Ihrem Stand?

Wir sind erstmals mit einem eigenen Stand auf der EM-Power. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die BKW hat sich als strategische Stoßrichtung dem Ausbau ihres PPA-Portfolios verschrieben. Im Bereich der klassischen Direktvermarktung ist die BKW bereits eine bekannte Größe im Markt. Nun will sie auch im PPA-Bereich eine große und verlässliche Partnerin werden, sowohl auf der Up- als auch auf der Downstream-Seite. Hierfür ist die EM-Power ein zentraler Dreh- und Angelpunkt, weil sich dort die Branche der Erneuerbaren trifft. Auf unserem Messestand werden Spezialistinnen und Spezialisten für die verschiedenen Länder präsent sein und maßgeschneiderte Lösungen für PV-Anlagenbetreiber zeigen. Außerdem kann die BKW auf dieser Messe ihre jahrzehntelange Expertise in der Vermarktung und Optimierung flexibler Assets präsentieren.

Vielen Dank für das Interview, Herr Lenzin!

Die internationale Fachmesse für Energiemanagement und vernetzte Energielösungen
Mehr erfahren
Weiterführende Inhalte
Forum Solar Plus 2024
PPA 360° – Stationen eines PPA aus der Perspektive der verschiedenen Stakeholder

Mittwoch, 27. November 2024 13:15–14:15 Uhr

Premium Account

Wie bei einer Perlenkette fädeln wir die Stationen der PPA auf einen roten Faden. Wir beleuchten Motivationen, Herausforderungen und Lösungen aus einem 360° Blick. Aus der Perspektive von Banken, Unternehmen, Dienstleistern und im gemeinsamen Gespräch mit den Expert*innen im Publikum.

Forum Solar Plus 2024
Wohlstandsverlust durch Klimaschutz

Mittwoch, 27. November 2024 14:25–15:25 Uhr

Premium Account

„Die Lüge vom billigen Ökostrom", „Subventionsmonster: Milliarden für unwirksame grüne Energien verschwendet! Kann sich Deutschland DAS leisten?", „PV zerstört den Wirtschaftsstandort Deutschland!“ - Wie am besten auf die zunehmend populistische Narrative reagieren? Wie raus aus der Verteidigungshaltung kommen? Wir entwickeln Argumentationsketten und liefern Lösungen für Diskussionen. Damit die Branche gewappnet ist und wortgewaltig in die Offensive kommt.

Forum Solar Plus 2024
Nur Qualität setzt sich am Ende durch!

Mittwoch, 27. November 2024 13:15–14:15 Uhr

Premium Account

Die Session gibt mit Fachleuten entlang der gesamten Lieferkette Aussagen über digitale Tools, die es ermöglichen, Qualität zu messen, Abweichungen frühzeitig zu erkennen und zu dokumentieren und Ertrag ein Anlagenleben lang zu erhalten oder sogar zu optimieren.

Forum Solar Plus 2024
Innovative Geschäftsmodelle und Lösungsansätze für die Energiewende

Mittwoch, 27. November 2024 11:15–12:30 Uhr

Premium Account

In kurzen Impulsen stellen innovative Köpfe der Branche Geschäftsmodelle und Lösungsansätze vor und gehen dann mit den Teilnehmenden ins direkte Gespräch. Hier stellen wir Fragen, bringen neue Ansätze ein und bauen unsere Netzwerke aus.

The smarter E Europe Exhibition Program 2024
Relevanz von granularen Herkunftsnachweisen

Freitag, 21. Juni 2024, 13:45 - 15:00 Uhr

The smarter E Europe Exhibition Program 2024 | Messeprogramm

Basic Account

Marius Klemm, Markt- und Prozessentwicklung, 50Hertz

Sie verwenden einen veralteten Browser

Die Website kann in diesem Browser nicht angezeigt werden. Bitte öffnen Sie die Website in einem aktuellen Browser wie Edge, Chrome, Firefox oder Safari.